Der Stolperstein

 

Peter saß am Fuß eines mächtigen Berges.

 

Die weiße Spitze des Berges, die mit viel Schnee bedeckt war, leuchteten in der Abendsonne rot glühend auf.

Eine große Dunkelheit umfing das Tal und die Berghänge und hüllte sie in einen feinen Nebel.

 

„Es ist traumhaft schön!“ dachte Peter

„Traumhaft!“

 

Langsam wich die Sonne von den rotglühenden Schneefeldern und hinterließ ein fades Grau.

 

Peter seufzte leise:

„Ja, so ist das Leben!“

 

„Einmal wunderschön hell leuchtend und

einmal wieder fade und grau.“

 

„Warum war er nur den Berg hinaufgestiegen?“

 

Er begann zu frösteln.

Der Berg hüllte sich in eine immer größere Finsternis ein.

 

Die Vögel hatten aufgehört zu singen und zu zwitschern.

Nicht einmal eine Grille zirpte mehr.

 

Nur das leise Rascheln einer vorüberhuschenden Maus erschreckte ihn.

 

Eine Unruhe begann sich in ihm breit zu machen.

Und eine unheimliche Angst kroch an ihm hoch.

 

„Wo war er nur?“

 

Es kam ihm alles so anders vor.

Wie wenn er sich in einer anderen Welt befände.

 

Stille, Stille, so eine unheimliche Stille.

 

Nur ganz von weitem hörte er ein Käuzchen schreien, aber es jagte ihm nur noch mehr Angst ein.

Die wunderschönen bunten Blumen, die er am Wege bewundert hatte, bewegten sich einheitlich in einem schmutzigen Grau.

 

Da wieder stieg eine leichte Nebelwolke auf und hüllte ihn ein.

Komm mit uns“ hörte er eine flüsternde Stimme, leicht wie der Nebel.

„Komm mit!“

„Wir wollen dir etwas zeigen!“

 

Peter sah sich um, aber da war niemand.

„Komm mit!“

 

„Wir werden dich mit Freuden überschütten!“ flüsterte wieder die feine Stimme.

 

Peter meinte, er sähe hinter dem Neben eine wunderschöne Frau mit leuchtenden silbergrauen Haaren und einer reizenden Gestalt, die sich wie eine Gerte hin und her wiegte und ihn lockte und zu verführen schien.

 

Er war fasziniert.

 

Er rieb sich die Augen und alles war verschwunden.

 

Nur die Finsternis umgab ihn.

 

Wieder starrte er auf den Nebel und wieder schien er sich zu bewegen, aber nicht die schöne Maid, sondern viele kleine Wesen, wie Gnome trieben sich herum. Hüpften und lachten und lockten ihn.

 

„Komm mit uns!“

 

„Und du wirst glücklich sein!“

schienen sie ihm zu zurufen und zu zuwinken.

 

Peter ging wie in Trance auf sie zu.

 

Schritt für Schritt.

Er sah nicht auf den Weg, sondern seine Blicke hingen wie gebannt an den kleinen Gestalten.

 

Jetzt erschien auch wieder das wunderschöne Mädchen.

Es bereitete seine Arme aus, nahm die Schleier in die Hand und tanzte und tanzte.

 

Eine tiefe Sehnsucht umfing ihn und er wollte nur noch dieses liebreizende Mädchen in den Armen halten.

 

Vergessen war seine Verlobte, die im Dorf auf ihn wartete.

Vergessen war alles um ihn herum.

 

Je größer die Sehnsucht war, dieses Wesen in seinen Armen zu halten, um so mehr schien sie ihm zu entweichen.

Immer schneller wurden seine Schritte und immer weiter entfernte er sich von jedem Weg.

 

Immer weiter wichen die kleinen Gestalten ihm aus und immer deutlicher sah er das wunderschöne Mädchen.

Jetzt hielt er sie beinahe schon in den Armen, doch sie entwandt sich ihm wie ein Nebel, der sich auflöste.

 

Peter wurde immer ungeduldiger und lief und lief.

Er konnte nur noch an eines denken.

 

„Dieses Mädchen besitzen!“

„Das wäre doch der schönste Traum!“

 

Und weiter ging die wilde Jagd über Stock und Stein, über Gras und Fels, durch Wald und Feld

und über Bäche und Brücken.

 

Es gab keinen Weg, keinen Steg mehr.

Mehr und mehr hastete, lief und schnaufte er hinter der holden Gestalt her.

 

Er war schon ganz außer Atem und sein Herz klopfte ihm bis zum Halse.

 

Jetzt begann er zu keuchen und bekam fast keine Luft mehr.

Er war nahe einer Ohnmacht vor lauter Erschöpfung und noch immer hielt er dieses bezaubernde Wesen nicht in seinen Armen.

 

Und weiter ging es.

 

Sein Puls raste und sein Atem wurde immer kürzer und heftiger.

Und

            da

                       lag

                                   mitten im Weg

                                                                     

ein riesiger Stein.

 

 

Seine Augen folgte immer noch dem Mädchen und er sah und hörte nichts außer ihr.

 

 

Der große Stein wich aber nicht aus.

 

Und er löste sich auch nicht im Nebel auf.

 

Sondern er stieß mit seinem ganzen Gewicht gegen Peters Knie.

 

Peter schrie auf vor Schmerzen und fiel zu Boden.

 

Er öffnete seine Augen.

 

Die Finsternis war gewichen und der Mond schien hell und klar.

 

„Wo bin ich nur?“

fragte sich Peter.

 

Als er sich umschaute, sah er, dass er vor einem riesengroßen Abgrund stand.

 

Stilles Entsetzen breitete sich in ihm aus.

Beinahe wäre er zu Tode gestürzt.

 

 

Da trat eine weiße Gestalt auf ihn zu.

„Peter!“

„Peter!“

„Wem bist du nur nachgelaufen?“

„War es ein Versprechen, eine Illusion, ein Wunsch oder war es ein Traum?“

 

Peter, den seine Schmerzen quälten, zischte seinen Schutzengel an:

 

„Warum hast du mich nicht früher gewarnt?“

 

„Du weißt doch,“

erwiderte sein Schutzengel ruhig

„dass wir nicht in euere Leben eingreifen dürfen.“

 

„Aber einen Stein durfte ich dir in den Weg legen!“

 

„Einen wirklichen Stolperstein!“

dachte Peter und bedankte sich mit ziemlich viel Wut im Bauch bei seinem Schutzengel.

 

„Was wäre nur passiert, wenn er nicht gestolpert wäre?“ dachte er noch immer mit schmerzverzerrtem Gesicht.

 

Nicht auszudenken.

 

Stolpersteine sind doch zu etwas gut“

            sagte er laut und

 

musste trotz seiner

Schmerzen lachen.

 

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